Dienstag, 6. Juni 2017

Mein Geburtsbericht - 31h bis zum Glück

Als ich meinen letzten Beitrag schrieb, war nicht zu erahnen, wie schnell meine Schwangerschaft nun doch ein Ende nehmen wird.
Die letzten Tage vor der Geburt verbrachte ich sehr oft in der Uniklinik, weil immer wieder Anzeichen für eine Schwangerschaftsvergiftung aufkamen, meine Blutwerte schlecht waren und ich mich selbst unwohl fühlte.

Nach meinem vorerst letzten Termin in der Uni bei der Intensiv Schwangeren Betreuung holten mich meine Eltern für ein paar Tage nach Hause, um etwas abzuschalten und mich zu erholen.
Bereits einen Tag später rief mich die Uniklinik besorgt an, da ich eine aufsteigende Infektion habe und dringend Antibiotika brauche.
Antibiotika in der Schwangerschaft wird solange wie möglich vermieden und nur verordnet wenn es unbedingt notwendig ist und so fuhr mein Dad mich umgehend zurück nach Leipzig, damit ich mein Rezept abholen konnte.
Groß etwas dazu sagte man mir nicht, nur das es ein Einmal-Antibiotika ist.
Also nahm ich es und verbrachte die Tage in meiner thüringischen Heimat mit vielen Gedanken dazu in meinem Kopf.

Ich selbst wollte kaum noch das Haus verlassen, weil ich mich selbst seit wenigen Tagen nicht mehr sehen konnte.
Mein Bauch hat sich dermaßen verändert und ich sah nicht mehr schwanger, sondern schwer adipös aus und ich schämte mich richtig. Ich wollte mich nirgends mehr zeigen. OH was habe ich geweint vor dem Spiegel...

Freitagmorgen dann um 3:40 platzte mir im Bett meine Fruchtblase und ich habe einen langen Moment gebraucht, bis ich realisiert habe, was wirklich passiert ist.
Mein erster Gedanke war tatsächlich "Mist, jetzt hab ich ins Bett gepullert, dabei warst doch gerade erst auf dem Klo..."
Dass mir die Fruchtblase geplatzt ist kam mir erst dann in den Sinn.
So quälte ich mich mit zusammen gekniffenen Beinen die Treppe runter um meine Eltern aus den Schlaf zu holen.

Durch meinen Schwangerschaftsdiabetes wies mich der Kreißsaal an erst noch richtig zu frühstücken, um nicht zu unterzuckern.

Meine Mutti brachte mich wenig später nach Leipzig in die Uniklinik wo mein Freund mit meiner Kliniktasche bereits auf mich wartete.
Das Abenteuer "Geburt" begann also seinen Lauf zu nehmen.
Ich wurde ans CTG angeschlossen und habe direkt nach dem gelegten Zugang Antibiotika bekommen, da ich keinerlei Wehen hatte und man eine weitere Infektion vermeiden und unser Kind schützen wollte.



Das CTG war noch nicht einmal fertig geschrieben, kam die Ärztin zu uns und teilte uns mit, dass man mich in ein anderes Krankenhaus verlegen muss, da die Neonatologie durch eine Vierlings- und Zwillingsgeburt voll belegt ist und unsere Tochter sicherlich anfänglich Hilfe braucht, da sie entschied mit 35+5 zu kommen und somit ein Frühchen ist.
Im ersten Moment konnte ich es wirklich nicht fassen und geriet dezent in Panik. Schließlich hat die Uni mich seit Januar intensiv betreut, eine dicke Akte von mir und weiß um alle Probleme die ich bislang hatte.

Da meine ganze Schwangerschaft so problematisch und alles andere als traumhaft verlief konnte ich im nächsten Moment nur noch lachen und sagen, dass mich bei all dem nichts mehr wundert.
Ich nahm es schlussendlich tatsächlich sehr gelassen, weil ich wusste ich komme nicht wieder ins St.Elisabeth Krankenhaus wo ich im Januar nicht gerade die besten Erfahrungen gemacht hatte.
Für mich gings mit dem Krankenwagen von der Uniklinik in das im Norden von Leipzig liegende St. Georg Klinikum - die Klinik hat nur einen Bruchteil an Geburten im Vergleich zur Uni und zum St. Elisabeth Krankenhaus was sich noch als echter Glücksgriff heraus stellen sollte.

Kaum dort angekommen, gab es wieder ein CTG und eine weitere Dosis Antibiotika. Dazu besprachen wir den weiteren Ablauf der Geburt, wie die Verabreichung von Wehenmitteln, erst homöopathisch und dann wenn es nicht anschlagen sollte ab dem nächsten Tag die chemische Keule.
So wurde mir auch vorab schon die Hiobsbotschaft übermittelt, dass man einen Dammschnitt machen muss, da bei Frühchen der Kopf noch nicht so fest ist wie bei weiter entwickelten Schwangerschaften...Na toll, meine Antwort zum Arzt war "Das war eindeutig tmi - to much information, sowas dürfen sie doch vorher nicht sagen, da bekommt man doch gleich Panik"  :/



Ich versuchte den Gedanken von mir weg zu schieben nicht nur weil man wieder versuchte mir Blut abzunehmen, vergebens...In den letzten Wochen wurde mir sooft Blut entnommen dass meine einzige Vene bereits zerstochen und durch den Zugang nun auch belegt war. Dazu kommt das viele Wasser in den Händen und Armen was das Prozedere nicht gerade erleichterte.

Um die Geburt anzustoßen gab man mir Quarz, was ein homöopathisches wehenförderndes Mittel ist, da ich bislang keine Wehen hatte.
Gegen Freitag Mittag setzten dann tatsächlich Wehen ein, die stündlich stärker wurden.
Gegen Abend hatte ich regelmäßig immer stärkere Wehen, die leider aber keinen Einfluss auf die Geburt hatten.
Um Mitternacht riet man mir dann eindringlich zu einer PDA, um nochmal für ein paar Stunden Kraft zu sammeln und in der Hoffnung, dass mein Muttermund sich dann auch endlich öffnet.

Ich habe einige Momente gezögert - hatte ich doch alles ausgefüllt und eine PDA abgelehnt. Ich vertraute auf die Hebammen und Ärzte und ließ mich überreden, da ich die Schmerzen eh nicht mehr aushalten wollte und konnte, vor allem weil sich nichts tut und keinerlei Entwicklung stattfand.
Also legte man mir Mitternachts eine PDA, was sich als nicht so einfach darstellte.

Mehrfach versuchten die Anästhesisten einen Zugang zu legen, kamen aber zwischen den Wirbeln nicht durch. Ganze viermal wurde gestochen bis die PDA saß.
Hach, war das eine Erleichterung und die Schmerzen so viel erträglicher.
Die Nacht verbrachte ich im Kreißsaal, übrigens als einzige Gebärende, wodurch ich eine tolle rundum Versorgung hatte.

Früh nach dem Schichttausch war ich unglaublich erleichtert, dass die liebe Hebamme Anke wieder Dienst hatte, zusammen mit der Hebammenschülerin. Bei der Kontrolle dann die freudige erstaunliche Nachricht - es geht los.
Unglaublich wie sich in wenigen Stunden unter der PDA alles sich entwickelt hat, denn der Muttermund war nun vollständig eröffnet und die Geburt konnte starten.
Ich glaub es war so gegen 8 Uhr als es nun in den finalen Lauf ging.
Aller zwei Wehen musste ich mich drehen, um mein Kind entsprechend zu unterstützen sich richtig ins Becken einzudrehen.
Neben den ständigen Wehen, musste ich mich zusätzlich mehrfach übergeben und hatte immer wieder Muskelkrämpfe in den Beinen. Ja, meinem Freund hab ich hin und wieder doch angebrüllt und ihm klar gemacht, dass es nur ein Kind bleiben wird :D
Mit jeder Wehe ging es weiter nach vorn und um 11:18 konnte ich den wohl schönsten Schrei hören - unsere Tochter erblickte das Licht der Welt.

Nur ganz kurz legte man mir meine kleine Lotti auf die Brust, bevor man sie umgehend intensiv medizinisch betreute.
Lotti war fürchterlich blau, mehr konnte ich durch meinen Tränenschleier nicht sehen.
Und dann lag ich da - gerade habe ich mein Kind entbunden. Was für ein Gefühl oder eher was für ein Gedanke.
All die schweren Monate, die Schmerzen und Komplikationen waren im Nu vergessen - man, warum hatten damit alle Recht?!

Die Zeit verging und ich wusste nichts über mein Kind, nicht wie groß und schwer sie ist, ob sie gesund ist und wie es ihr geht. Sie lag nun auf der Neonatologie und ich weiterhin im Kreißsaal, da die Nachgeburt auf sich warten ließ und ich anschließend auch genäht werden musste.
Zu einem Dammschnitt kam es übrigens erst gar nicht, weil man empfand das ausreichend Platz da ist - schlussendlich bin ich gerissen, was man zum Glück nicht merkt.

Ich wurde immer ungeduldiger, sollte erst duschen und auf der Wöchnerinnen Station zu Mittag essen, da ich vor über 18 h das letzte gegessen hatte.
Ich wollte nichts essen, ich wollte nicht länger warten, ich wollte endlich zu meinem Kind.
Ganze vier Stunden sind vergangen bis ich endlich mein Kind auf der Neonatologie sehen durfte.



Wir mussten uns gründlich waschen, alles desinfizieren bevor wir in den kleinen Raum mit 5 kleinen Brutkästen und Wärmebetten kamen, alle umstellt von vielen Geräten.
Im hintersten lag meine Tochter, völlig verkabelt. Sie hatte eine Beatmungsmaske, eine Magensonde und sämtliche Elektroden die alles mögliche aufzeichneten und überwachten. Ihr ganzes Gesicht war angeschwollen, sodass sie nur minimal die Augen wenn überhaupt hätte öffnen können.
Nur langsam traute ich mich an das kleine Wesen und meine Tränen und Emotionen überkamen mich völlig. Ich weinte hemmugslos, weil ich so sprachlos war über das was ich sah.



Mein kleines Mädchen da so zu sehen, so hilflos, so völlig eingenommen von den medizinischen Geräten,...So...Mir fehlen immer noch die Worte den Moment zu beschreiben und meine Gefühle richtig zu sortieren bzw. Ausdruck zu verleihen. Noch heute, so auch jetzt, kommen mir allein bei dem Gedanken daran die Tränen.
Dass ich eine so schwere Schwangerschaft hatte kann ich noch ertragen, aber dass mein kleines Mädchen nun so einen schweren Start hat, bricht mir das frisch gebackene Mutterherz.


Lotti ist durch den Schwangerschaftsdiabetes mit stolzen 50cm und 3390g auf die Welt gekommen, aber die Organe sind eben noch nicht so gut entwickelt, sodass sie eben die Unterstützung braucht, sowie die zusätzliche Wärme, da sie ihre eigene Körpertemperatur noch nicht halten kann.



Die nächsten Tage rannte ich ständig zwischen der Wöchnerinnen Station und der Neonatologie hin und her, um so oft wie möglich bei meinem Kind zu sein.
Lotti verbrachte 5 Tage auf der Neonatologie. Bereits am dritten Tag konnte die Beatmung und Magensonde entfernt werden und wir zogen Mitte der Woche endlich gemeinsam auf ein Zimmer auf die Neonatologische Nachsorge Station.

Zur Entlassung erfuhren wir leider dann auch erst noch, dass Lotti bei der Geburt einen Schlüsselbeinbruch erlitten hat und wir wohl diesbezüglich auch mit ihr zur Physiotherapie müssen.

Nach 8 Tagen in der Klinik konnten wir endlich nach Hause. Ich werde den Moment nicht vergessen als ich dann endlich mit ihr nackt,  lediglich mit einem Tränenschleier vor Glück bekleidet, auf der Couch lag und das intensive kuscheln unmittelbar nach der Geburt nach geholt habe.
Uns ist durch die direkte Trennung nach der Geburt so viel Geborgenheit verloren gegangen, ich hatte mich so verloren gefühlt, auch weil ich mein Kind allein lassen musste.



Die Geburt als solche empfand ich nicht schlimm und auch wenn es insgesamt 31h gedauert hat war sie im Gegensatz zu meiner Schwangerschaft unproblematisch, ja fast angenehm.
Das was mir schwer zu schaffen macht ist Lotti ihr schwerer Start und die Zeit nach der Geburt in der Klinik. Gemeinsam versuchen wir die Zeit aufzuarbeiten und werden sicherlich hier professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. 
Das größte Glück ist aber nun mit Lotti und Luri gemeinsam das Leben genießen zu können, auch wenn die Nächte oft schlaflos sind.